Ostfriesland

Ostfriesland

August 2, 2022
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Moin Ostfriesland

„Eala frya Fresena – seid gegrüßt, freie Friesen!“

So lautete der Gruß der stolzen Friesen im Mittelalter. Heute sagt man  “Moin”. 

In ihrer Geschichte haben die Friesen ihr Land immer wieder vor Eroberern verteidigt und sich so den Status als “freie Friesen” erworben. Sie waren als freie Bauern direkt dem König unterstellt, ohne die sonst übliche Feudalherren, die im restlichen Europa das Volk unterdrückten. Das gleiche starke Gemeinschaftswesen, das die Landesverteidigung ermöglicht hat, ist auch für den Deichbau und -erhalt notwendig und trägt sicherlich viel zum Nationalstolz der Friesen bei. 

Auch heute noch liegt der Duft von Freiheit in der friesischen Luft – die Landschaft ist nach allen Seiten hin offen, der Blick kann endlos schweifen, es weht einem ständig eine frische Brise um die Nase. Nichts ist beengt oder bedrückend, man kann sich gut vorstellen, dass sich die Menschen hier nichts vorschreiben lassen wollen!

Von Kinnertön und Fehn

Als Tourist hat man hauptsächlich die Inseln vor Augen und denkt an Wattenmeer und Fisch. Die Marschlandschaft zwischen Autobahnende und Fährhafen wird meist nur als notwendiges Übel auf dem Weg zum Urlaubsort angesehen. Ein Fehler! Wie so oft tummeln sich hier, weitab von den Touristenhochburgen, die Kleinode der Ostfriesischen Kulturlandschaft. 

Die Fehnlandschaft im südlichen Ostfriesland hat zwar nichts mit Feen zu tun, aber romantisch ist sie doch – Klappbrücken, Windmühlen und Kanäle prägen das Bild. Hier war noch im 17. Jahrhundert ein Hochmoor, die ersten Siedler haben es nach holländischem Vorbild urbar gemacht (daher der Name Veen=Moor). Man grub Kanäle zur Entwässerung, der dadurch freigelegte Torf wurde in mühsamer Handarbeit gestochen und als Brennstoff verkauft. Entlang der Kanäle bauten die Menschen ihre Häuser, noch heute ist die Struktur der Fehnsiedlungen erkennbar

Kinnertön

Es ist nicht ganz einfach, mit den Menschen hier ins Gespräch zu kommen. Ich glaube, geholfen hat, dass wir im Februar dort waren, völlig außerhalb der Touristensaison. Und dass Martin Plattdeutsch versteht, sonst wäre die Geschichte des “Kinnertön” wohl an uns vorbeigegangen. Was ich im ersten Anlauf für einen Seglerknoten gehalten habe, hat er im nachfolgenden Gespräch als Getränk identifiziert. Tatsächlich handelt es um Rosinen, eingelegt in Branntwein und die Geschichte geht so: sobald die werdenden Großeltern die freudige Nachricht von zu erwartendem Nachwuchs bekommen, legen sie Rosinen in Branntwein ein und lassen sie ziehen. Zum Zeitpunkt der Geburt des Kindes sind die Rosinen stark aufgeweicht und branntweingetränkt. Man lädt die Nachbarn ein, um mit dem angesetzten Likör auf die Geburt des neuen Erdenbürgers anzustoßen. Die aufgeweichten Rosinen sehen ein bisschen aus wie Baby-Zehen, daher der Name „Kinnertön“. Zu anderen Anlässen getrunken wird es aber auch “Sinbohntjesopp” genannt.

“Teetied” oder die Kunst, die Zeit anzuhalten

Man könnte sagen, die Ostfriesische Teezeremonie ist das genaue Gegenteil von “im Vorbeigehen einen Tee trinken”. Ein Vorgang, der Aufmerksamkeit verlangt. Nicht nur, um das zarte Porzellan vor Unheil zu bewahren (robuste Becher sind verpönt), nein, auch der Ablauf ist genau festgelegt und kaum so nebenbei zu erledigen. Man muss sich Zeit nehmen, eine Pause machen, sein Tun unterbrechen. Wir lassen uns auf dieses Experiment ein, angeleitet von der netten Dame im Bünting Teehaus (hier geht es zum video). Mit der richtigen Abfolge von Klüntje, Tee und Wulkje, im Idealfall kombiniert mit leckerem Kuchen, lässt sich die Zeit schon mal anhalten! Während wir noch versonnen den aufsteigenden Sahnewölkchen nachschauen, erfahren wir den Ursprung des herausragenden Teekonsums hier in Ostfriesland (12mal mehr als der Durchschnitt): das Trinkwasser kam aus den Mooren in der Umgebung und war unbehandelt kaum genießbar. So kochte man es ab und fügte Geschmack hinzu in Form von Tee. Das erklärt auch, warum der Tee während des ganzen Tages getrunken wird. 

Drei Tassen dürfen es während einer Teetied schon sein, wer genug hat, legt den Löffel in die Tasse (entspricht in etwa dem Bierdeckel auf dem Kölschglas). Das ist aber auch die einzige Funktion des Löffels, denn zum umrühren wird er keinesfalls verwendet!

Deichlamm

Die Schafe sind in erster Linie als Nutztiere auf dem Deich – sie halten das Gras kurz und verdichten den Boden mit ihren Hufen. Um das für den Schäfer lukrativ zu machen, wird ein Teil der Lämmer verkauft – soviel wusste ich schon aus unserer Zeit in Nordfriesland. Es war aber hier in Ostfriesland gar nicht so einfach, einen solchen Schäfer zu finden, schließlich war es Februar und auch noch der grosse Sturm. Die Lösung tat sich auf beim Besuch der Metzgerei Leggedör in Weener: die Metzgerei bezieht ihr Lammfleisch von der Deichschäferei der Familie Wuttge aus Leshaus in der Krummhörn. Familie Wuttge bewirtschaftet die Deichflächen direkt an der Nordsee/Naturpark Wattenmeer bis nach Greetsiel und rund um den bekannten Leuchturm in Pilsum. Die Tiere werden mit 9-12 Monaten geschlachtet und leben in der Regel ganzjährig auf den Deichen (außer bei unserem Besuch, wie gesagt, Sturm….)

Leuchtturm Pilsum
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